Hinzu kämen zunehmende bürokratische Hürden und anhaltende Lieferengpässe bei wichtigen Arzneimitteln, die den Arbeitsalltag zusätzlich erschweren. Statt ihre Zeit für die Beratung von Patientinnen und Patienten zu nutzen, verbringen Apothekerinnen und Apotheker immer mehr Stunden mit Formularen, Dokumentationspflichten und der Suche nach verfügbaren Medikamenten.
„Wir erleben gerade, wie die wohnortnahe Arzneimittelversorgung Stück für Stück zerbricht“, sagt Inge Funke, Pressesprecherin der Apotheker in Mettmann, Ratingen und Velbert. Zwar hat sich der Rückgang der Zahl der Apotheken zuletzt etwas verlangsamt, „aber dennoch gibt fast jede Woche allein in Nordrhein eine weitere Apotheke auf. Und das nicht, weil sie schlecht arbeitet, sondern weil sie wirtschaftlich keine Chance mehr hat.“
Alarmierende Entwicklung: Apothekenschwund gefährdet die Versorgung
Im Jahr 2024 mussten in Nordrhein 66 Apotheken schließen, nur fünf neue kamen hinzu: ein Nettoverlust von 61 Betrieben. Damit fiel die Zahl der öffentlichen Apotheken erstmals unter 2.000. Auch in den ersten drei Quartalen 2025 hält der Negativtrend an: 34 Schließungen, nur vier Neueröffnungen: Zum Stichtag 30. September verblieben 1.910 Apotheken. Bundesweit ist die Entwicklung ebenso alarmierend, heißt es von Seiten der Apothekerkammer Nordrhein: Nach Angaben der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) gab es Ende Oktober 2025 nur noch 17.041 Apotheken in Deutschland. Das sind mehr als 300 weniger als zu Jahresbeginn. Damit erreiche die Zahl der Apotheken den niedrigsten Wert seit 1977.
Besonders im ländlichen Raum hinterlässt jede Apothekenschließung eine spürbare Lücke in der wohnortnahen Gesundheitsversorgung. Doch auch in den Städten ist das Apothekensterben ein ernstes Problem. Zwar gibt es dort auf den ersten Blick mehr Apotheken, doch gleichzeitig leben in Ballungsräumen deutlich mehr Menschen, die versorgt werden müssen. Wenn Apotheken schließen, verteilt sich dieselbe Zahl an Patientinnen und Patienten auf immer weniger Standorte. Mit spürbaren Folgen: längere Wartezeiten, weniger persönliche Beratungszeit für den einzelnen Patienten und ein wachsender Druck auf die verbliebenen Teams. Apothekenschließungen seien daher kein Ausdruck eines sich selbst regulierenden Marktes, sondern ein hoher Verlust an wohnortnaher und persönlicher Versorgungssicherheit. Dies gilt in der Stadt ebenso wie auf dem Land, erläutert Inge Funke.
Zwölf Jahre Stillstand beim Honorar – Inhaber tragen das volle Risiko
Seit 2013 wurde das feste Apothekenhonorar nicht mehr angepasst. Während Löhne, Energie, Mieten und Materialkosten stetig steigen, bleibt die Vergütung unverändert. Für viele Apotheken bedeutet das: steigende Ausgaben bei gleichbleibenden Einnahmen. Ein dauerhaft nicht tragbares Ungleichgewicht. „Viele meiner Kolleginnen und Kollegen stehen kurz vor dem Ruhestand oder kämpfen schon lange mit einer angespannten wirtschaftlichen Situation. Sie haben gehofft, dass die von der Politik im Koalitionsvertrag angekündigten Honoraranpassungen endlich kommen und etwas Entlastung bringen würden“, so Funke.
Doch diese Hoffnung hat sich jetzt zerschlagen, denn die Politik berücksichtigt ihre eigenen Ankündigungen im Koalitionsvertrag beim aktuellen Entwurf für ein Apothekenreformgesetz erst einmal nicht. „Ich befürchte, dass etliche Kolleginnen und Kollegen am Jahresende die Konsequenzen ziehen und ihre Apotheken schließen könnten. Das ist bitter. Nicht nur für die Inhaberinnen und Inhaber, die ihr Lebenswerk aufgeben müssen, sondern insbesondere auch für die Menschen vor Ort, die eine verlässliche Anlaufstelle für ihre Arzneimittelversorgung verlieren“, erklärt Apothekerin Funke.
Diese Entwicklung hat bereits spürbare Folgen für den Berufsnachwuchs. Apothekerin Funke warnt: „Viele Inhaberinnen und Inhaber der Babyboomer-Generation gehen in den nächsten Jahren in den Ruhestand. Eigentlich müssten mehr junge Apothekerinnen und Apotheker den Schritt in die Selbstständigkeit wagen, doch die Perspektiven sind derzeit zu unattraktiv. Wir verlieren so wertvolles Know-how, das für eine gute Arzneimitteltherapie und damit für alle Patienten dringend gebraucht wird“.
Individuelle Arzneimittelherstellung für Kinder und Notdienstversorgung unter Druck
„Besonders betroffen ist auch die individuelle Herstellung von Kinderarzneimitteln“, erklärt Apothekerin Funke. „Viele Medikamente müssen in Apotheken speziell angepasst werden. Etwa in der Dosierung oder im Geschmack, damit sie für Kinder geeignet sind.“ Diese maßgeschneiderte Zubereitung erfordert Zeit, Fachwissen und Sorgfalt. Für viele Apotheker ist sie nicht nur Pflicht, sondern eine Herzensangelegenheit. Selbst dann, wenn sie bei einzelnen Rezepturen Geld aus der eigenen Tasche dazulegen müssen, weil die Honorierung durch die Krankenkassen nicht ausreichend ist.
Auch die flächendeckende Notdienstversorgung gerät laut Apothekerkammer zunehmend in Gefahr. Durch die sinkende Zahl an Apotheken müssen immer größere Gebiete abgedeckt werden. Für Patientinnen und Patienten bedeutet das: längere Wege, mehr Wartezeit und im Ernstfall erschwerten Zugang zu dringend benötigten Medikamenten – insbesondere nachts, an Feiertagen und Wochenenden. Apothekerinnen und Apotheker fordern nun klare Signale aus Berlin. Der Vorschlag, dass im
Ausnahmefall auch eine PTA vorübergehend die Apothekenleitung übernehmen darf, stößt auf Kritik. „Das wäre ein Dammbruch“, warnt Funke. „Eine qualifizierte pharmazeutische Betreuung durch approbierte Fachkräfte ist kein Luxus, sondern zentrale Voraussetzung für Patientensicherheit. Da wo Apotheke draufsteht, muss auch immer eine Apothekerin oder ein Apotheker anwesend sein. Das können Bürgerinnen und Bürger zu Recht erwarten.“
Die Apothekerschaft fordert daher einen klaren politischen Kurswechsel: „Die Politik muss handeln, bevor das Netz der Apotheken reißt. Wir brauchen endlich faire Honorare, weniger Bürokratie und echte Wertschätzung für eine sichere und wohnortnahe Gesundheitsversorgung für
Bürgerinnen und Bürger.“